Schöner, alter Hochzeitsbrauch: Holzsägen…erste gemeinsame Prüfung für Neuvermählte.
Hochzeitsbräuche, schöne und auch derbe, gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Volkskundler hielten diese Bräuche für die Nachwelt fest. Vielfach bedeutete dabei der erste Schritt nach der kirchlichen Trauung auch die erste gemeinsame Prüfung für die Brautleute. So heute noch in Eiserfey; hier wird der Brauch des „Seilchenhaltens“ in Verbindung mit dem „Holzsägen“ gepflegt.
Dieser Brauch, dessen genauer Ursprung nicht bekannt ist, geht vermutlich auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – und damit auch auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg – zurück. Darauf lassen Erinnerungen einer der ältesten Bürger unseres Ortes, Johannes Feyen, Jahrgang 1925, schließen. „Ich erinnere mich an entsprechende Erzählungen der älteren Menschen in meiner Jugendzeit. Zentrale Figur des Geschehens um diesen Brauch war danach ´Nells Ann`, die, ledig, mit Familienname eigentlich Anna Nassheuer (†1992) hieß und die Gaststätte „Em Stöffje“, die heute noch existiert, betrieb. Ann, ein Unikum, trat immer mit einer Schürze bekleidet auf und ließ vom Brauch des Seilchenhaltens und des Holzsägens für die Neuvermählten auch während des 2. Weltkrieges, vermutlich mit Ausnahme der letzten Monate, nicht ab“.
Johannes Feyen kehrte 1946 aus dem Krieg zurück. „Spätestens zu dieser Zeit nahm Nells Ann den Brauch wieder auf, allerdings verstärkt und letztlich ausschließlich durch Messdiener. Auch meine Frau Susanne († 2012) und ich haben uns bei unserer Hochzeit 1949 diesem beliebten Zeremoniell vor allen Gästen gestellt“, sagte Feyen.
Nach und nach übernahmen jedoch einige Männer aus dem Dorf diesen Brauch, Originale wie Peter Mießeler, (†1991) „Meister“ genannt, und Christian Mießeler (†1988). Noch während die Hochzeitglocken läuteten, rückten sie mit einem Kinderwagen, beladen mit Seil und Holzstamm sowie sonstigen Utensilien für die Zeremonie, an ohne Einladung natürlich, aber als willkommene Überraschung. Und dem Anlass entsprechend festlich gewandet … mit Frack und Zylinder.
Die Zeremonie blieb seit Jahr und Tag gleich. Sobald sich das Kirchenportal öffnet, beginnt der gerade besiegelte gemeinsame Lebensweg des Paares mit einem Hindernis: Es warten die ersten symbolischen Prüfungen auf Braut und Bräutigam. Dabei wird ihnen mit einem Seil zunächst der Weg versperrt. Das bedeutet für den Bräutigam, tief in die Geldbörse zu greifen, um den Weg für sich und seine Angetraute freizukaufen. Daran kommen auch die Hochzeitsgäste nicht vorbei, gilt es doch, den enormen finanziellen Aufwand des Organisationskomitees aufzuwiegen. Erst danach erhält die Braut einen Blumenstrauß. Und es wird angestoßen … auf die Liebe, das Glück und einen langen, gemeinsamen Lebensweg. Für die Braut gibt es einen süßen Tropfen, einen harten Schnaps für den Bräutigam und die Hochzeitsgesellschaft. Es fehlt auch nicht die schon obligatorische Zigarre für den Hochzeiter.
Allerdings bleibt ihm nur Zeit für ein paar Züge, denn es wartet die „Eignungsprüfung“ auf das neue Ehepaar. Dabei gilt es für die Neuvermählten, kräftig in die Hände zu spucken und die Ärmel hochzukrempeln. Mit der „Trommsäch“ (Trummsäge) müssen die beiden beweisen, dass sie in der Lage sind, Probleme jedweder Art anzupacken und gemeinsam zu meistern. Ihre Aufgabe besteht darin, einen mittelstarken Baumstamm zu durchsägen. Dazu eignet sich insbesondere ein Stamm der Wildkirsche, dessen Jahresringe gut sichtbar sind. Das abgesägte Stück erhält das Paar zur Erinnerung.
Viele Hochzeiter lassen es lasieren, beschriften oder bemalen. Meist findet es einen Platz in der sogenannten „guten Stube“. Umrahmt wird dieses Zeremoniell nicht nur von den geladenen Verwandten, Bekannten und Freunden, sondern auch von Zaungästen. Allerdings verzeichnet man auch in Eiserfey eine „abflauende Hochzeitskonjunktur“. Die (meist) jungen Leute bevorzugen die „wilde Ehe“. Deshalb hat das Hochzeitstrio diesen Brauch auch auf andere Orte ausgedehnt, wenn jemand aus Eiserfey dort getraut wird.
Mehrfach trat das Seiltrio – auch als Quartett oder gar Sextett – vor der ehrwürdigen Basilika Steinfeld auf und reiste sogar bis Heinsberg/Niederrhein. Doch damit nicht genug. Die Seilschaft bereicherte in der Vergangenheit auch das Trauungszeremoniell bei Eheschließungen, bei denen keiner der beiden Partner aus Eiserfey stammte. So beispielsweise bei der Hochzeit des ehemaligen Bundesligaschiedsrichters Georg Dardenne, der mit seiner Braut in Zingsheim vor den Traualtar trat und in Eiserfey lediglich viele Freund- und Bekanntschaften pflegte.
Der Auftritt des Trios beschränkte sich in der Vergangenheit nicht nur auf „grüne“ Hochzeiten, nein, es „prüfte“ auch Silber- und Goldhochzeitspaare. So 1986 beispielsweise den Schmiedemeister Mathias Theisgen (†1995) und seine Frau Gertrud (†2009), zur Feier ihrer Goldhochzeit. Das damalige Hochzeitstrio stellte dem Handwerksmeister eine Feldschmiede in den Weg, an der er sein handwerkliches Können nochmals beweisen musste.
Stärkung im „Stöffje“
In die Fußstapfen von Unikum Peter Mießeler und Christian Mießeler traten Anfang der 1950er Jahre die Brüder Ludwig („Weckes“ genannt, †1999), Michael (†1984) und Karl Mießeler (†2010), liebenswerte, humorvolle dörfliche Originale. Dazu stieß einige Jahre später Heinz Nöthen, der schon als Messdiener beim Zeremoniell nach der Trauung mitwirkte. Weitere Jahre vergingen, ehe sich Heinz van Bonn und Johann Feyen, später auch Heinz (†2016) und Uschi Hamacher, Antoinette Nöthen, Ralf Hochgürtel sowie Sabine und Josef Haubrich diesem illustren Kreis anschlossen.
Allerdings beklagen die Protagonisten eine „abflauende Trauungskonjunktur“ und somit auch die Pflege des beliebten Brauchtums. Seit 2009 verzeichnete das Seiltrio lediglich einen einzigen Auftritt. Auch wenn die Zeremonie selten geworden ist: Danach zieht die „Seilschaft“ zur nahe gelegenen Gaststätte „Em Stöffje“, die heute von Kathi Frings, einer Nichte der ehemaligen Wirtin Nells Ann, geführt wird. Dort werden die Spenden, die von der Hochzeitsgesellschaft in einem alten Sähkorb hinterlassen wurden, in eine meist flüssige biologische Stärkung umgesetzt.
In den Zeiten der „Hochzeitskonjunktur“ stellte Wirtin Kathi in einem Hinterzimmer ihrer Gaststätte Frack und Zylinder für das Seiltrio zurecht. Auch hier gab es eine Änderung: Heute nennt jeder der Protagonisten Frack und Zylinder sein eigen. Beide werden zu Hause aufbewahrt.
Heinz Nöthen erhielt den auch „Schwalbenschwanz“ genannten Gehrock des früheren bekannten Meistermalers Werner Peiner, dessen Familie Wurzeln in Eiserfey hat. Der Zylinder stammt von Dr. Hans Gohr, einem ehemaligen, sehr angesehenen Arzt der Kölner Uni-Klinik. Dessen Frau gesellte sich bis zu ihrem Tod regelmäßig zu den Schaulustigen des Zeremoniells.
Heinz und Antoinette Nöthen haben all` die Auftritte des Seiltrios in ihrem „Hochzeitsbuch, Band 1“, ergänzt durch Fotos, Presseberichte und passende Kommentare, festgehalten. Gebunden wurde diese Dokumentation von Insassen der Justizvollzugsanstalt in Rheinbach, die dort eine meist langjährige Haftstrafe verbüßen. Was für eine Ironie!
Quelle:
Gastautor Michael Hamacher