Johann W. Mießeler
Bodenständig, beliebt, bescheiden
Ein freundliches „Hey oder Hallo“ erklingt an den Gästefans vorbei bis auf Höhe der Mittellinie und kündigt den Sportplatzbesuch von Tina, wie sie von allen guten Bekannten genannt wird, an. Hier wird sie in der Regel von Hami und Hannes, ihrem Nachbarn, kräftig gedrückt und mit einem Wangenkuss freundlich begrüßt.
Danach kommt die obligatorische Frage „ Wie geht’s und aus welchen Landesteilen oder Einsatzorten kommst du gerade her?“ Das Hauptthema, wie sollte es auch anders sein, ist natürlich der Fußball.
Bundesliga, die mäßige Leistung ihres HSV, dem sie sich schon von Kindesbeinen an verbunden fühlt und eines ihrer Idole, Uwe Seeler, den sie persönlich gut kennt. Nationalmannschaften, Damen und Herren in vielen Altersklassen. Die Chancen auf einen Titel bei immer wieder anstehenden Spielen oder Turnieren der verschiedenen Mannschaften. Besonders der U-15-jährigen, die sie aktuell trainiert, aber auch die U-19/20, die sie als Assistenz-Trainerin mit ihrer Kollegin, Maren Meinert, betreut. Aber auch die Damen A-Nationalmannschaft begleitet sie sehr häufig, um im Trainerstab zu analysieren oder andere, gegnerische Mannschaften auf Turnieren zu scouten.
Die Leistung des einheimischen TSV Feytal wird kommentiert und häufig durch Lachsalven unterbrochen, weil Onkel Rainer, auch von allen „Rinnes“ genannt, wieder einen Spruch in Münchhausenmanier loslässt. Bettina zeigt hier ihre Verbundenheit und Bodenständigkeit zu ihrem Heimatverein, bei der sie Ehrenmitglied ist und 1977 mit 6 Jahren ihre fußballerischen ersten Schritte unternahm. Bei den Jungs war Bettina in allen Altersklassen eine überaus begehrte Mitspielerin und ließ ihre Gegenspieler sehr oft alt und anfängerhaft aussehen. Leider durfte sie dann mit 12 Jahren nicht mehr in der Jungenmannschaft spielen und wechselte 1982 in die neu gegründete Jugend/ Damenmannschaft der TUS Mechernich. Nach deren Auflösung wechselte Bettina zur SG Bleibuir-Voissel. Ihr großes Können ließ sie in manchen Spielen älter werden als sie wirklich war – das darf man heute sagen und wird nicht weiterempfohlen – mit einer Sondergenehmigung wurde sie dann offiziell in der Seniorenmannschaft eingesetzt.
Durch ihre Berufung als 14-Jährige in die Auswahl des Fußballverbandes Mittelrhein, machte Bettina sich auch für höherklassige Vereine interessant. So wechselte sie 1988 zu Grün Weiß Brauweiler.
Die Weiterentwicklung ihrer Karriere erforderte auch enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand ihrer Eltern, Brigitte und Hartmut, die sie liebevoll „oss Tien“ nennen. Unterstützung fanden die beiden auch bei Onkel Rainer, der häufig Fahrdienste zu Training und Spielen übernahm.
Als Gymnasiastin interessierte sich Bettina schon sehr früh für naturwissenschaftliche Fächer. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sie eine Ausbildung zur Kommunikationselektronikerin bei der Telekom in Düren absolvierte.
Ihr technisches Verständnis und handwerkliches Geschick stellte sie auch bei ihrem eigenen Hausbau oder bei jeder möglichen Nachbarschaftshilfe unter Beweis.
Neben ihrer Liebe zum Fußball konnte Bettina in jungen Jahren auch noch Zeit für andere Hobbys wie Tennis, Radfahren und Spielmannsmusik im einheimischen Tambourcorps als Trommlerin finden.
Ihr weiterer sportlicher Weg führte sie über die Mittelrheinauswahl am 01. Oktober 1989 zu ihrem 1. Spiel in der Damennationalmannschaft.
Ihre rasante Entwicklung beflügelte auf nationaler Ebene auch die gesamte Leistung der Damen von Grün Weiß Brauweiler. Bereits 1991 feierte sie mit ihrem Team den Gewinn im DFB Pokalwettbewerb. Diesen Erfolg wiederholte sie 1994. Die Krönung erreichte sie mit ihrer Mannschaft in der Saison 1996/97, als sie die Deutsche Meisterschaft und den Pokal nach Brauweiler holte.
Danach wechselte Bettina 1998 für eine Spielzeit zu den „Sportfreunde Siegen“. Doch ihr Herz schlug weiter für Grün Weiß und so kehrte sie an ihre alte Wirkungsstätte bis 2001 zurück.
Ein weiteres prägendes Ereignis war der Wechsel mit ihrer Nationalmannschaftskollegin Maren Meinert in die neu gegründete US-Frauenfußball Profiliga „WUSA“. Bei den Boston Breakers verbrachte Bettina zwei Spielzeiten, ehe sie wieder nach Brauweiler zurückkehrte. Der Verein hatte sich zwischenzeitlich in FFC Brauweiler Pulheim umbenannt. Hier spielte Bettina bis zu ihrem Karriereende 2003.
Auf internationaler Ebene reihte sich ein Erfolg an den anderen.
Der erste große Erfolg gelang ihr mit dem Gewinn der Europameisterschaft 1991. Diesen Titelgewinn konnte sie in den Jahren 1995, 1997 und 2001 wiederholen. Die jeweilige Rückkehr in ihren Heimatort wurde von einem großen Fanclub mit einem Autokorso eröffnet und fand mit einer offiziellen Begrüßung und Ehrung durch den jeweiligen Bürgermeister der Stadt Mechernich seine Fortführung. Er mündete in einem Dorffest, musikalisch umrahmt vom einheimischen Tambourcorps und dem Musikverein Weyer, in einen überschwänglichen Jubelsturm. Nicht nur die Eiserfeyer Bürger kamen zum Gratulieren, sondern auch viele fußballbegeisterte Menschen aus den Nachbarorten.
Eine weitere Stufe auf der Erfolgsleiter von Bettina war 1995 der Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft.
Die Teilnahme an den Olympischen Spielen ist für jeden Sportler ein unvergessenes Ereignis. Dies kann nur durch den Gewinn einer Medaille getoppt werden. Dies gelang Bettina 2000 in Sydney mit dem Gewinn einer Bronzemedaille. Nebenbei bemerkt war sie die erste Torschützin bei einem olympischen Frauenfußballturnier.
Mittlerweile war Bettina wohl zur weltbesten Mittelfeldspielerin gereift. Diese Leistung wurde 1999 durch die FIFA, mit einer Berufung in eine Frauenfußball-Weltauswahl gewürdigt. Der Anlass war die Gruppenauslosung zur WM 1999. Gegner der Weltauswahl waren die Frauen der USA. Der größte Erfolg ihrer unnachahmlichen sportlichen Karriere gelang ihr bei der Weltmeisterschaft 2003 in den USA. Als Spielführerin konnte sie mit ihrem Team den Weltmeistertitel erringen und sich von nun an Weltmeisterin nennen.
Nach diesem großartigen Erfolg beendete Bettina nach 154 Einsätzen in der Frauennationalmannschaft ihre fußballerische Karriere. Bei den Spielen erzielte sie insgesamt 51 Tore, 11 davon bei Weltmeister-, 5 bei Europameisterschafts-Endrunden und 3 bei olympischen Spielen.
Parallel bereitete sie sich auf ihre berufliche Zukunft vor.
2000 erwarb sie zusammen mit einigen namhaften männlichen Fußballkollegen, wie Jogi Löw, Matthias Sammer, Jürgen Klinsmann, Stefan Kunz und weiteren die Fußballlehrer Lizenz.
Neben dem Autor sahen auch viele erfahrene Fußballkenner in Bettina die zukünftige Nationaltrainerin der Frauen. Doch ihre Bodenständigkeit, Bescheidenheit und starke Bindung zur Familie, besonders zu ihren beiden Nichten Lea und Kim sowie ihrem Neffen Ben verhindern längere Abwesenheiten von zu Hause.
Die Erfahrung mit der Familienbande ist bei ihrer jetzigen Tätigkeit als DFB Trainerin der U-15 Juniorinnen und Assistenztrainerin der U-19 und U-20 sehr hilfreich. Diese Positionen bekleidet sie seit September 2007. Von Januar 2003 an war sie als Verbandssportlehrerin beim Fußballverband Mittelrhein tätig, ehe sie 2007 zum DFB wechselte.
Als Trainerin hat Bettina, zusammen mit Maren Meinert, bereits einige Titel gewinnen können. 2006, 2007 und 2011 wurde sie Europameisterin mit den U-19 Damen. 2010 Weltmeisterin, 2012 Vizeweltmeisterin und 2014 Weltmeisterin mit der U-20 Damennationalmannschaft.
Aufgrund ihrer vielzähligen sportlichen Erfolge hat Bettina zahlreiche Ehrungen erfahren. Neben den bereits erwähnten Ehrungen in ihrem Heimatort durch die Dorfbevölkerung wurde sie auf Kreisebene 1989 und 1991 zur Sportlerin des Jahres gewählt. 1997 war Bettina Fußballerin des Jahres in Deutschland. 2003 wurde sie in NRW Sportlerin des Jahres. Ausgezeichnet wurde Bettina mit dem Silbernen Lorbeerblatt und der NRW-Sportplakette. Am 07.11.2011 verlieh die Ministerpräsidentin des Landes NRW, Hannelore Kraft, den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen an Bettina Wiegmann.
Seit 2004 steht Bettina in der Reihe der Ehrenspielführer der deutschen Fußballnationalmannschaft neben Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Birgit Prinz und Jürgen Klinsmann.
Außer ihrem sportlichen Arrangement ist sie im sozialen Bereich aktiv. Sie ist Kuratoriumsmitglied und gründete mit einigen erfolgreichen Nationalspielern und Dozenten des Fußball-Lehrer-Sonderlehrgangs im Jahr 2000 die „Stiftung Jugendfußball“.
Als Schirmherrin unterstützt sie das Jugendprojekt BINGO (Beste INteGratiOn) des Jugendmigrationsdienstes in Euskirchen.
Als Autorin hat Bettina Wiegmann zusammen mit Kathrin Peter und Martina Voss-Tecklenburg, ebenfalls erfahrene Fußballerinnen und Trainerinnen, ihre Erfahrungen im Mädchenfußball in einem Handbuch „Mädchenfußball“ zusammengetragen. „Mädchen- und Frauenfußball weltmeisterlich spielen“.
Das Buch ist 2010 im Meyer & Meyer Verlag, Aachen erschienen. ISBN 978-3-89899-38
Heute kann Bettina, in ihrer verbleibenden Freizeit, wieder einigen liebgewonnenen Hobbys nachgehen.
Täglich, bei Wind und Wetter, läuft sie ca. 1 Stunde lang in und um ihren Heimatort herum, um sich fit zu halten. Dabei zeigt sie sich in allseits bekannter Manier, natürlich, freundlich und immer gut gelaunt und ohne Starallüren.